Ein Samstag, kurz nach acht Uhr morgens. Die Stadt träumt noch, eingehüllt in Nebelschwaden, während die ersten Sonnenstrahlen schüchtern über die Dächer lugen. Ich bin längst hellwach. Seit drei Stunden bin ich auf den Beinen, habe bereits an meinem neuen Ratgeber gearbeitet, gefrühstückt und mich angezogen. Als hätte ich geahnt, dass mich ein besonderer Tag erwartet, habe ich mich für mein neues Petticoat-Kleid entschieden (ohne Petticoat, den haben die Kinder liebevoll in seine Einzelteile zerlegt …). Ich schminke mich, schlüpfe in meinen Mantel und radele wenig später zum katholischen Pfarrhaus. Die Luft ist klirrend kalt, meine Beine frieren durch die Strumpfhose, aber ich fühle mich lebendig. Heute wird ein guter Tag. Meine Freundin Bettina und ich haben Karten für die Lesung von Dora Heldt.

Dieser Vormittag hält, was er verspricht. Wir lachen, knüpfen Kontakte zu den anderen Frauen (die im Schnitt 30 Jahre älter sind als wir), lassen uns Bücher signieren und gehen anschließend noch in die städtische Bibliothek, dem Lieblingstreffpunkt von Bücherwürmern. Mir fällt „The Happiness Project“ von Gretchen Rubin in die Hände und ich bin gefesselt.
… Dabei gab es bereits vieles, das mich hätte glücklich machen sollen. Ich war mit Jamie verheiratet, (…) der Liebe meines Lebens; wir hatten zwei entzückende Töchter (…). Ich hatte eine enge Beziehung zu meinen Eltern, meiner Schwester und meinen Schwiegereltern. (…) Doch leider ließ ich trotzdem nur allzu oft meine schlechte Laune an meinem Mann oder dem Müllmann aus. (S. 13)
Die Frau schreibt über MEIN Leben. Es trifft mich wie der Schlag, dass auch ich mich danach sehne, etwas zu verändern, obwohl oberflächlich betrachtet alles gut sein sollte: Auch ich habe die Liebe meines Lebens geheiratet, wir haben zwei wundervolle Töchter von aktuell 7 und 5 Jahren, ich bin gesund, habe ein ausgezeichnetes, liebevolles Verhältnis zu meiner Familie und arbeite in einem Beruf, der meine Berufung ist.
Was will ich denn noch?!
Ozean statt Pfütze
Die Antwort liegt mir sofort im Mund: Ich habe es satt, an der Oberfläche zu treiben. Obwohl ich sonst nie Gedicht schreibe, hat sich das hier aufgedrängt:
Zwischen Zahnpastaresten
im Waschbecken
und dreckigem Geschirr
finde ich eine Pfütze.
Mein Leben.
Zusammengeschrumpft
auf Arbeit, Familie und Haushalt.
Ich wische sie auf,
zusammen mit dem Apfelsaft,
den die Große verschüttet hat,
und denke an die großen Tiefen
des Ozeans.
Ich will die Tiefe in meinem Leben wieder mehr spüren. Ich will nicht mehr nur zusehen, wie das Leben an mir vorbeirauscht – ich will eintauchen.
Der Großteil meines Lebens findet online statt, musst du wissen. Dort spreche ich mit Gleichgesinnten und Kreativen, dort führe ich mein Online-Business, dort nehme ich an Workshops teil und bilde mich fort. Dort teile ich meine Gedanken und verkaufe meine Kurse, Bücher und Coachings. Und als ein Mensch mit ADHS, der schnell von persönlichen Kontakten energetisch ans Limit gebracht wird, ist das auch absichtlich so von mir gewählt.
Bisher haben mir Offline-Kontakte kaum gefehlt. Aber irgendetwas hat sich in den letzten Monaten geändert.
Eine fast vergessene Erinnerung
Ich habe diese Woche auch an Beth Kemptons „Write for Love. Write for Money“-Kurs teilgenommen und mich daran erinnert, wie schön es sich früher angefühlt hat, als ich jeden Freitag einen Blogartikel auf meiner Webseite veröffentlicht habe. Niemand hat darüber gejammert, 1000 Wörter lesen zu müssen. Heute sind Newsletter mit 300 Wörtern vielen schon zu viel – inklusive mir! Ich merke immer mehr, dass mein Leben verflacht.
Aber das werde ich nicht zulassen.
Deshalb habe ich für mich das Projekt „Tiefer leben“ ins Leben gerufen.
Mein Selbstversuch: Das ist das „Tiefer leben“-Projekt

Ich habe den restlichen Tag damit verbracht, darüber nachzudenken, wie ein „tiefgründiges, erfülltes Leben“ eigentlich aussehen würde. Im Gegensatz zu Gretchen Rubin habe ich nicht den Wunsch, glücklicher zu sein, sondern in tiefere Ebenen meines Lebens vorzudringen.
Um das zu schaffen, gibt es verschiedene Lebensbereiche, die ich im Laufe eines Jahres ergründen, vertiefen und verändern möchte. Es deckt sich mit der „simplify your life“-Pyramide des gleichnamigen Buches:
• Selbstorganisation: Mehr Ordnung in unserem Zuhause (riesiger Punkt für mich mit ADHS und zwei kleinen Kindern), bewusstes Zeitmanagement und das Thema Minimalismus. Ich möchte Systeme entwickeln, die für uns passen.
• Gesundheit: Ich möchte endlich wieder das Gewicht erreichen, das ich vor den Schwangerschaften hatte (10 bis 12 kg weniger), besser essen und mich mehr bewegen.
• Finanzen: Ich möchte mehr Geld in meinem Leben haben, um an Workshops, Veranstaltungen, Events etc. teilnehmen zu können, worauf ich in den letzten Jahren immer mehr verzichtet habe.
• Beziehungen verbessern: Wie erwähnt, möchte ich neue Freundschaften schließen. Ich möchte aber auch eine bessere Mutter sein, die weniger schimpft und freundlicher mit ihren Kindern umgeht. Und ich möchte Zeit in unsere Ehe investieren, die ein bisschen vor sich hindümpelt. Meine ehrenamtlichen Tätigkeiten bleiben erhalten.
• Zuletzt: Tiefgründige Fragen, die bereits die alten Philosophen umgetrieben hat, könnten mir eine tiefgründigere Sicht auf mein Leben und das Leben anderer geben.
Was braucht es, um „tiefgründig“ zu leben?
Dieses Jahr wird keine Märchenfahrt, sondern eine Rafting-Tour. Ich werde meine Komfortzone gegen Neugier und Angst eintauschen und dorthin reisen, wo die Luft knapp ist, aber das Leben umso beeindruckender. Woche für Woche werde ich neue Pfade betreten: mich mit Freundschaften verbinden, meine Umgebung entrümpeln, meinen Körper erspüren, mein Denken vertiefen.
Ich werde mich überraschen lassen – und garantiert auch stolpern.
Aber lieber falle ich tief, als weiter flach dahinzugleiten
Was kann ich konkret tun, um tiefgründiger zu leben?
Sobald man darüber nachdenkt, was man alles tun könnte, wenn man es sich einfach mal erlaubt, kommen einem die vielfältigsten Ideen. Ich habe eine lange Liste mit Punkten erstellt, die ich in den kommenden Monaten ausprobieren, verfeinern oder testen will. Hier ein Abriss:
Für bessere Selbstorganisation:
- Kleiderschrank ausmisten
- Überflüssige und ungenutzte Apps vom Handy löschen
- Digitalen Müll aufräumen
- Einen „27-Teile-Boogie“ jeden Tag (Tipps aus „Die magische Küchenspüle“)
- Papiere sortieren und gutes System dafür finden (z.B. Hängeregistratur)
- (und 25 weitere Dinge)
Für mehr Achtsamkeit und inneren Frieden:
- Meditation, Yoga und Qi-Gong
- Digital Detox oder kompletter Handyverzicht
- Bibelstudien
- Kreativ sein (Malen, fotografieren, filmische Videos)
- Journaling und schreiben
- (und 15 weitere Dinge)
Für bessere Beziehungen:
- Briefe schreiben
- Kleine Geschenke machen
- Gemeinsame Erinnerungen schaffen
- (und 7 weitere Dinge)
Gesundheit und Körper:
- Kein “Emotional Eating” mehr
- Besser essen
- Fasten
- Mit Joggen anfangen (4 x 20 Minten pro Woche)
- Täglich 15 Minuten spazieren
- Bewusstere Körperpflege (z.B. der Haut etwas Gutes tun)
- (und 12 weitere Dinge)
Und vieles mehr. Die Liste ist lang und wird sicherlich noch länger, je mehr ich mache.
Tiefer: im Guten wie im Schlechten
Im Gegensatz zum Original, mache ich kein „Happiness Project“, also will nicht einfach glücklicher sein, sondern möchte mich auch den unangenehmen Gefühlen weiter öffnen.
Meine Life Coach Ausbilderin sagte:
„Das Leben ist immer 50/50. Nur die Intensität ändert sich.“
Ich mache mich deshalb darauf gefasst, nicht nur mehr Freude, Sinn, Zugehörigkeit und Glück zu empfinden, sondern auch Schmerz, Trauer, Konflikte, Scham, Angst und so weiter.
Wenn ich „größer“ leben will, wird auch das Unangenehme größer.
Hier auf meinem Blog und in einem eigenen Newsletter speziell für dieses Projekt werde ich davon berichten, was ich erlebe, was mich weitergebracht hat und was ich nicht noch einmal tun würde.
Vielleicht liest du diese Zeilen und spürst es auch: dieses leichte Kribbeln im Bauch, dieses kleine Flüstern, das sagt, dass es sich lohnen könnte.
Dann tauche mit mir!
Vielleicht stolpern wir auf dem Weg, vielleicht finden wir etwas Unerwartetes, vielleicht wird es unbequem (okay, es wird garantiert unbequem).
Aber es wird echt sein. Tief. Roh. Lebendig.
Bist du dafür bereit?
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